Otto Frisingensis episcopus

Einführung

Otto von Freising, Sohn des österreichischen Markgrafen Leopold III. aus dem Hause der Babenberger und der salischen Kaisertochter Agnes, Cisterciensermönch und Bischof von Freising, Gelehrter aus Pariser Schule und größter Geschichtsschreiber der salisch-staufischen Zeit, von der Kirche als Heiliger verehrt: eine herausragende Persönlichkeit, die ihresgleichen kaum hatte. Drei Elemente verbinden sich in Otto zur Einheit: die Zugehörigkeit zum höchsten Reichsadel, das monastische Bewußtsein der neuen Reformorden und die Gelehrsamkeit der Pariser Universität.

Bischof Otto von Freising. Glasmalerei im Brunnenhaus des Stifts Heiligenkreuz

Geboren wurde Otto etwa 1112 oder 1113 als fünfter Sohn von insgesamt achtzehn Kindern der Ehe seiner Eltern. Seine Mutter Agnes, eine Tochter Heinrichs IV. und Witwe des staufischen Herzogs Friedrich von Schwaben, hatte bereits wenigstens vier Kinder aus ihrer ersten Ehe, darunter den späteren König Konrad III., der also Ottos Halbbruder war. Auch Ottos Vater, der heilige Markgraf Leopold III., war vor der Ehe mit Agnes schon verwitwet und hatte wenigstens einen Sohn aus der früheren Ehe. Ottos Großvater also war römischer Kaiser – wenn auch, wie man einschränken muß, vom illegitimen Gegenpapst Clemens gekrönt. Kaiser Heinrich V. war sein Onkel, sein Bruder Heinrich II. Jasomirgott war Herzog von Österreich. Ein jüngerer Bruder namens Konrad wurde Bischof von Passau, später sogar Erzbischof von Salzburg. Zwei Schwestern – Gertrud und Agnes – wurden den Herzögen von Polen und Böhmen vermählt. Während der Zeit schließlich, da Otto intensiv von den Reichsgeschäften gefordert wurde, war der römische Kaiser sein Neffe Friedrich I. Barbarossa.

Um diesen familiären Hintergrund zu wissen hilft zum Verständnis eines Mannes, der in seinem Werk sich in äußerster Bescheidung zurückhält, und zum Verständnis des Werks, das kein einfacher Chronist und kein Stubengelehrter verfaßt hat, sondern einer der auf oberster Ebene selber agierenden Männer; der aber zugleich nicht als Reichsfürst oder Politiker schreibt, sondern geprägt vom Geist des Mönchtums, gestützt auf immense Gelehrsamkeit.

Von seinen Eltern von Anfang an für den geistlichen Beruf bestimmt, erhielt Otto seine erste Ausbildung bei den Chorherren von Klosterneuburg, einer Stiftung seines Vaters. Um 1126 wurde er Propst des Stifts, um von den Einkünften aus dieser Pfründe ein Studium in Paris zu finanzieren. Wohl noch 1126 begab Otto sich dorthin.

Student in Paris

Über die Zeit des Studiums ist nicht viel bekannt. Der wichtigste Lehrer Ottos, so viel ist gewiß, war Hugo von Sankt Victor, der aus sächsischem Adel stammte, ein Freund übrigens des heiligen Bernhard von Clairvaux, selbst aber Augustinerchorherr. Hugo vertrat inhaltlich die traditionelle Theologie, die Vätertheologie. Er war aber, wenn man so sagen kann, der Sprache der Neueren, der beginnenden Scholastik, durchaus mächtig, wie sie etwa Petrus Abælardus oder Gilbertus Porretanus vertraten.

Otto selber war seinem Wesen nach ebenso konservativ und traditionsgebunden wie sein Lehrer Hugo. Er hat aber, mehr als dieser, Elemente des neuen theologischen Weges aufgenommen. Am deutlichsten läßt sich dies vielleicht an seiner Stellung zu den aufkommenden Aristotelesstudien erkennen. Von der umfassenden Aristotelesrezeption des dreizehnten Jahrhunderts war man noch weit entfernt, doch begann man, sich verstärkt mit der Kategorienlehre zu befassen, also mit der Logik des Aristoteles, wenn auch immer noch im Gewand und in der Auslegung der Neuplatoniker Porphyrius und Boethius. Man begann – bei Gilbert zum Beispiel wird das deutlich – die „Kategorien“ auf Gott anzuwenden.

Augustinus hatte genau dies noch verworfen, oder genauer: selbst getan und dann verworfen. Im selben Geist bekämpfte etwa Bernhard von Claivaux den Porretaner Gilbert, aber Otto verteidigte ihn. Damit ist nicht gesagt, daß Otto Gilberts Positionen und Methoden sich zu eigen machte, obschon er sogar in seiner Diözese Aristotelesstudien förderte. Er selber blieb im wesentlichen in den konservativen Bahnen. Aber er war ein Mann des Ausgleichs, des Kompromisses um des Friedens willen.

Mönch von Morimund

Doch haben wir vorgegriffen. Denn bevor Ottos theologische Anschauungen sich historisch greifen lassen, steht ein anderes Ereignis da, von einschneidender Natur, wenngleich durchaus nicht einzig in dieser Zeit: Als Otto nach Abschluß seiner Studien 1132 oder 1133, höchstens zwanzig Jahre alt, mit einem Gefolge von fünfzehn Klerikern auf dem Heimweg von Paris nach Klosterneuburg war, machte der Trupp im noch jungen Cistercienserkloster Morimund in Lothringen Halt. Zwar wissen wir nicht, was während dieses Klosteraufenthalts im einzelnen geschah, doch kann es nichts Geringes gewesen sein: Alle sechzehn Männer bekehrten sich und traten in den Orden des heiligen Bernhard ein.

Wohl im Januar 1138 wurde Otto zum Abt von Morimund gewählt. Doch schon ein halbes Jahr später ereilte ihn der Ruf auf den Freisinger Bischofsstuhl. Er folgte dem Ruf, blieb aber seiner cisterciensischen Berufung treu, der Regel des Ordens ebenso wie dem monastischen Habit. Als Bischof sorgte er sich in besonderer Weise um die Erneuerung des kirchlichen und religiösen Lebens im Geiste der Reformorden. Bemerkenswert ist freilich, daß Otto, wo er neue monastische Gemeinschaften ansiedelte, nicht seinen eigenen Orden bevorzugte, sondern Prämonstratenser und Augustinerchorherren in sein Bistum holte.

Bestätigung einer Urkunde durch Otto von Freising: »Ego Otto Frisingensis episcopus confirmo«.

Bischof und Reichsfürst

Das bischöfliche Amt hatte Otto unter die Fürsten des Reichs eingereiht. Bezeichnenderweise hatte er die Regalien, also die weltlichen Amtsvollmachten, von seinem Bruder König Konrad III. empfangen. Wie wir aus seinem Hauptwerk wissen, der Chronica, sah Otto die politische oder besser welthistorische Lage in düsteren Farben und unterm Gesichtspunkt eschatologischer Erwartung. Dennoch nahm er die ihm zuteilgewordenen Aufgaben willig an. Er erschien auf den Reichstagen, er übernahm eine Gesandtschaft für seinen Bruder Konrad nach Rom, wo er Papst Eugen III. traf, er nahm das Kreuz und zog 1147 zum II. Kreuzzug ins Heilige Land. Bis Constantinopel zog er an der Seite seines Bruders Konrad III. Von Nicæa durch Kleinasien führte der Freisinger Bischof allein eine Abteilung der Kreuzfahrer, kämpfte gegen türkische Angreifer, wurde geschlagen und mußte fliehen, erreichte eben noch die See und brachte die Reste seines Trupps auf dem Seeweg nach Palästina. Ostern 1148 konnte er wieder zusammen mit Konrad feiern: an der Stätte der Auferstehung, in Jerusalem. Auf dem Rückweg 1149 oder 1150 suchte er zunächst Bernhard von Clairvaux auf. Es ging nicht nur um Angelegenheiten des Cistercienserordens, sondern auch um hohe Politik: Bernhard gab ihm eine Botschaft an den König mit, die zwischen Konrad und dem Normannen Roger von Sizilien vermitteln helfen sollte.

Historia de duabus civitatibus

Die Chronica oder Historia de duabus civitatibus, eine Weltgeschichte in acht Büchern, war zu dieser Zeit bereits vollendet. Otto hatte von 1143 bis 1146 an ihr gearbeitet. Sie schildert in sieben Büchern die Geschichte der Welt von der Erschaffung Adams bis auf Ottos eigene Gegenwart. Das achte Buch behandelt die Eschata, letzten Dinge. Diese Konzeption einer Weltgeschichte ist – sieht man vom achten Buch ab – an sich nichts Besonderes, und auch die Behandlung der Eschatologie in historischem Kontext ist zumindest nicht einzigartig. Was Ottos Werk von andern Weltchroniken unterscheidet, das kündigt der Titel an: Historia de duabus civitatibusGeschichte der zwei Staaten. Es sind dies die zwei „Staaten“ Augustins, wie der Kirchenvater sie in seiner Civitas Dei beschrieben hat: die civitas Dei, der „Gottesstaat“ oder das Neue Jerusalem, das ist die Kirche, und die civitas terrena oder civitas diaboli, der irdische oder Weltstaat oder Staat des Teufels, versinnbildet durch Babylon. Otto will also nicht bloß Geschichtsschreiber sein, er versteht sich vielmehr in erster Linie als Theologen, der die Geschichte deutet.

Augustinische „civitates“ versus Reichstheologie

An dieser Stelle ist ein knapper Exkurs notwendig. Wenn wir oben gesagt haben, die civitas Dei, das sei die Kirche, so bedarf dies näherer Ausführung. Denn man darf die konkrete, hierarchisch organisierte Kirche nicht schlechterdings civitas Dei nennen. Es sind zwei verschiedene Dinge. Andererseits sind sie doch wesenhaft identisch. Wie ist das zu verstehen? – Die civitas Dei im Sinne Augustins, das ist die ewige Gemeinschaft aller Engel und Heiligen. Das und nichts anderes ist eben die Kirche, die eine, heilige, katholische und apostolische. Der Begriff „Kirche“ umfaßt ja weit mehr als nur, was man die „sichtbare Kirche“ genannt hat. Das ist nur ihr je aktual auf Erden pilgernder Teil in seiner vom Herrn ihm eingestifteten Verfaßtheit, eben der kirchlichen Hierarchie und dem kirchlichen Sakrament. Diesen „pilgernden Teil“ nennt Augustin eine civitas permixta, eine „gemischte Gesellschaft“: Denn in ihr sind Gute und Böse, civitas Dei und civitas terrena für uns unscheidbar miteinander verwoben; erst im Gericht wird der Herr die Spreu aussieben. Dennoch stellt Hierarchie – unabhängig von der persönlichen Würdigkeit der Amtsträger – und stellt das Sakrament sicher, daß die auf Erden in der Zeit pilgernde Kirche Anteil hat an der Fülle des Heils, an der ewigen Kirche Gottes. Die civitas terrena dagegen ist durch negative Merkmale gekennzeichnet: Selbstbezogenheit statt Gottesbezogenheit, Verwirrung statt Klarheit, Zerteilung statt Einheit. Jeder konkrete, historische irdische Staat gehört damit der Sphäre der civitas terrena an, unbeschadet der möglichen Heiligkeit seiner Glieder oder gar Führer.

Otto von Freising nun faßt Augustin vor allem als den Künder und Schreiber der civitas Dei. Als maßgeblichen Historiographen der civitas terrena zieht er eine andere Autorität heran: den hispanischen Presbyter Orosius, einen etwas jüngeren Zeitgenossen und treuen Gefolgsmann – zeitweise gar Mitarbeiter – Augustins in den damaligen kirchenpolitischen Konflikten, der die Abfassung seiner vielgelesenen Historiæ adversum paganos mit einem ausdrücklichen Auftrag Augustins begründet. Ist freilich die Authentizität dieses Auftrags schon reichlich ungewiß, so ist das orosianische Geschichtsdenken demjenigen Augustins geradezu entgegengesetzt. Orosius vertritt eine Reichstheologie, wie man sie bis dahin nur vom griechischen Kirchenhistoriker Euseb von Cæsarea kannte. Für diese „Reichstheologen“ fallen Römisches Reich und Kirche dank der Bekehrung des Reichs in eins zusammen: Das imperium Romanum wird zur civitas Dei – für Augustinus eine undenkbare Vorstellung.

Ottos Synthese

Wie aber geht Otto mit diesem fundamentalen Gegensatz seiner beiden hauptsächlichen Autoritäten um? – Wie er sich von Anfang an auf Augustinus und Orosius beruft, so ziehen sich zwei Motivstränge durch das ganze Werk. Otto tritt uns entgegen als forschender Historiograph und zugleich als Theologe, als Angehöriger des höchsten Reichsadels und enger Verwandter des Kaiserhauses ebenso wie als frommer Christ und Mönch. Als dieser ist er zutiefst ergriffen und überzeugt von der Wahrheit der augustinischen civitates-Lehre, die er für seine Zeit erneuern möchte; als jener aber ist er fest verwurzelt im Reichsbewußtsein – ohne daß die „staufische Reichsideologie“ schon kaiserlicherseits propagiert würde –, im Glauben an das christliche Römische Reich des Mittelalters, das er trotz der endzeitlichen Erscheinungen seiner Gegenwart nicht verwerfen kann. Otto sucht daher nach einer Rechtfertigung der Heiligkeit des Reichs (wenn auch dieser Begriff in der Chronica noch nicht auftaucht, der Sache nach ist er zweifellos schon vorhanden) und findet sie in der orosianischen Reichstheologie. Er will beides, die Theologie von den zwei gegensätzlichen Staaten und die Theologie vom Reich. Er ist also gezwungen, beides miteinander zu einer Synthese zu verbinden. Dies fällt ihm insofern leicht, als ihm im Gefolge Augustins eine zweite, scheinbar doch an Augustin anschließende und auf ihm aufbauende Autorität zur Verfügung steht, die ihm den zweiten Teil zu dieser Synthese liefert. Die Vereinbarkeit beider Aspekte will und kann Otto nicht in Frage stellen. Er müßte ja, wenn sie denn nicht vereinbar wären, gleichsam einen der beiden geistigen Äste absägen, auf denen er sitzt.

Nun sind aber Augustin und Orosius, wenn man beide ernst nimmt – und das bedeutet wenigstens für Augustin eine in erster Linie theologische Betrachtungsweise –, schlechterdings nicht vereinbar. Damit soll aber nicht gesagt sein, daß Ottos Versuch einer Synthese von vornherein gescheitert sei. Vielmehr steht am Ende als Ergebnis ein ganz neuer, von beiden Vorgängern verschiedener Entwurf der Geschichtsdeutung, der weder die naive Reichstheologie des Orosius einfach übernimmt, noch die Strenge und die klare Dualität der augustinischen Anschauungen. Dennoch bleibt diesem Entwurf eine gewisse Ambivalenz, ein Schwanken zwischen unterschiedlichen Begriffsverständnissen. Gerade damit aber verkörpert Otto von Freising auch die Situation seiner Zeit: die innere Zerrissenheit angesichts der Spaltung, ja des Kampfes zwischen regnum und sacerdotium, ohne daß er vom einen oder vom andern hätte lassen können.

Die staufische Wende

Vom Werk zurück zur Vita. Als König Konrad im Jahre 1152 starb und der Staufer Friedrich Barbarossa, Ottos Neffe, zum Nachfolger erwählt wurde, da wandelte sich mit der politischen Gesamtlage erkennbar auch Ottos Verhältnis zu den Geschäften des Reichs. Daß er nun mehr noch als zuvor unmittelbar beteiligt ist – am Ausgleich zwischen Staufern, Welfen und Babenbergern etwa wirkte er ebenso mit wie bei der Beilegung des Streits mit Papst Hadrian IV. –, ist dabei nicht das Entscheidende; vielmehr wandelt sich die negative, pessimistische Färbung seiner Sicht der Dinge, wie sie noch zur Zeit Konrads in der Chronica zum Ausdruck gekommen war. Friedrich erscheint ihm nun als Friedensherrscher, der das Recht und die Ordnung des Reichs wiederherstellt. Die eschatologische Gesamtschau Ottos blieb davon zwar unberührt, denn sie beruhte ja auf Offenbarung, auf den Aussagen der Schrift. Aber Friedrich gab ihm neue Hoffnung, daß das Ende mit seinen aus der Schrift bekannten Schrecken noch nicht unmittelbar bevorstand. Friedrich wurde für ihn, was später ein Carl Schmitt – wenn der Vergleich möglich ist – mit Blick auf II Thess 2,6-7 den Katechonten nannte: der „Aufhalter“, durch dessen Wirken die Heraufkunft des Antichrists noch verzögert wird.

Hätte Otto das neuerliche Zerwürfnis der weltlichen Gewalt des Reichs mit der Kirche und das Schisma von 1159 noch erlebt, er hätte sich ohne Zweifel in seiner vorigen Auffassung bestätigt gesehen: in der endzeitlichen Erwartung der Chronica. Allein er starb bereits am 22. September 1158 in seinem Heimatkloster Morimund, auf dem Weg nach Citeaux zum Generalkapitel der Cistercienser. Von seinem Werk über die Taten Friedrichs (Gesta Friderici), das zu verfassen der Kaiser selber ihn ersucht hatte, hatte er zwei Bücher fertiggestellt. Sein Sekretär Rahewin sollte das Werk fortsetzen.

Gesta Friderici

Die beiden ersten Bücher der Gesta Friderici hatte Otto innerhalb nur weniger Monate in seinen beiden letzten Lebensjahren, von 1157 bis 1158, niedergeschrieben. Voran stellt er das Schreiben des Kaisers von 1157, das nicht nur den Auftrag zu dem Werk beinhaltet, sondern auch eine gleichsam offizielle Auflistung der eigenen Taten durch den Kaiser nach Art der Res gestæ des Augustus. Otto selber greift noch einmal bis zur Bannung Heinrichs IV. durch Papst Gregor VII. im Jahre 1076 zurück. Das erste Buch reicht bis zum Tode Konrads III., wobei die Zeit, die Otto selbst miterlebt hat, ausführlichere Darstellung erfährt, während die ältere Zeit eher komprimiert geschildert wird. Stets nimmt Otto sich jedoch die Freiheit, Gegenstände, die er für besonders bemerkenswert erachtet oder die ihn einfach interessieren, ausführlicher zu beschreiben, zu kommentieren oder zu erläutern, ja auch phlisophische oder theologische Exkurse einzuflechten. Das zweite Buch beginnt mit der Königswahl Friedrichs Barbarossa 1152 und führt uns bis ins Jahr 1157. Diese wenigen Jahre werden mit vielen Details ausgebreitet, und zwar um so materialreicher, je dichter Otto am Geschehen war.

Bischof Otto von Freising in der weißen Kukulle der Cistercienser, dahinter in rotem Gewand sein Sekretär Rahewin. Tafelbild von Hans Part, das den Stammbaum der Babenberger darstellt, entstanden 1489-1492, Stift Klosterneuburg.Nach Ottos Tod übernahm sein Sekretär Rahewin (in den Quellen auch Radewin oder Radewig; wir übernehmen hier die „eingebürgerte“ Namensvariante) auf Ottos eigenen Wunsch hin und in Absprache mit dem Kaiser die Aufgabe, das Werk fortzusetzen. Er verfaßte in den folgenden Jahren – von Ende 1158 bis 1160 – zwei weitere Bücher. Der behandelte Zeitraum reicht vom August 1157 bis Anfang 1160. Diese Bücher III und IV der Gesta Friderici erlauben die Feststellung, daß Rahewin stilistisch und intellektuell dem Unternehmen durchaus gewachsen war. Dabei ist – ohne daß ein Bruch im Gesamtwerk deutlich würde – doch auch Rahewins eigene Handschrift unverkennbar: Stärker als Otto legt er das Gewicht auf die Darstellung der historischen Fakten zu Lasten ihrer theologischen Interpretation, in deutlich größerem Umfang flicht er Aktenmaterial ein: Zitate, Urkunden, Bullen, Reden.

Nun fallen aber in Rahewins Part auch jene Ereignisse, die neuerlich die Spaltung zwischen regnum und sacerdotium aufbrechen ließen: Der von Friedrich Barbarossa – und vor allem von seinem Erzkanzler Rainald von Dassel – vom Zaun gebrochene Streit auf dem Reichstag zu Besançon und das Schisma von 1159. In der breiten Darstellung dieser Ereignisse – namentlich durch Quellenzitate – tritt Rahewin als unparteilicher Berichterstatter auf, der es ausdrücklich dem Leser überläßt, sich anhand des dargebotenen Materials ein eigenes Urteil zu bilden. Die Auswahl dieses Materials jedoch erweist sich bei näherer Betrachtung als so einseitig, daß der Leser, dem keine andern Informationen zu Gebote stehen, fast unweigerlich für die kaiserliche Partei eingenommen wird. Von Otto wäre solche Einseitigkeit kaum zu erwarten gewesen. Nicht daß wir Otto umgekehrt auf der päpstlichen Seite sehen sollten: Nein, Otto hätte nach allem, was wir von ihm wissen, zu beiden Seiten größtmögliche Distanz gewahrt, er hätte – gewiß ohne direkte Angriffe – auch seine Enttäuschung über den Kaiser erkennen lassen, und er wäre zurückgekehrt zur in der Chronica vorherrschenden Schau seiner Gegenwart, die in eschatologischem Licht die endzeitlichem Erscheinungen hervorhebt.

Hat also Rahewin seinem ehemaligen Herrn in dessen grundsätzlicher Sicht der Dinge nicht folgen können, nicht folgen wollen? – Es sei die Hypothese gewagt: Rahewin konnte tatsächlich, als er über die genannten Ereignisse schrieb, nicht anders. Er konnte von seiner Warte aus nicht weiter blicken – denn er hatte nicht die Position, er hatte nicht den Status und die Unabhängigkeit des bischöflichen Reichsfürsten Otto von Freising. Rahewin war angewiesen auf die Informationsquellen, die die kaiserliche Kanzlei ihm bot: Daraus ergibt sich zwangsläufig die Einseitigkeit des von ihm verarbeiteten und dargebotenen Materials.

Weshalb, so bleibt zu fragen, hat Rahewin das Werk nicht über den genannten Zeitraum hinaus fortgesetzt? – Die einfachste Antwort lautet: weil er Ende des Jahres 1160 zum Propst des Freisinger Stiftes Sankt Veit gewählt wurde, wo er in den siebziger Jahren starb. Freilich ist nicht einzusehen, weshalb er nicht auch als Propst weiter an den Gesta Friderici hätte arbeiten können – hatte doch auch Otto seine Werke als Bischof und Reichsfürst geschrieben, der obendrein immer noch das Amt des Abtes von Morimund innehatte. Vielleicht wird man also Rahewins Propstwahl als bewußten Rückzug von den Reichsangelegenheiten zu deuten haben. Rahewin mag erkannt haben, daß er als Historiograph für Zwecke eingesetzt wurde, die er nicht überblicken konnte oder die ihm in immer zweifelhafterem Licht erschienen. Jedenfalls folgt er darin wieder Otto: Er wird ganz und gar Mönch, er lebt und er stirbt in seinem Kloster, wie auch den heiligen Bischof Otto dessen letzter Weg heim in seine Abtei Morimund geführt hatte.

Das Werk beider aber, die Gesta Friderici, bleibt die mit Abstand wichtigste erzählende Quelle über die ersten Jahre des staufischen Kaisertums und ist zugleich eins der herausragenden Erzeugnisse der abendländischen Historiographie.

Editorische Notiz

Wir bieten hier den Text der Gesta Friderici in der Textgestalt der Ausgabe von Simson und Waitz in den Monumenta Germaniæ Historica ohne deren kritischen Apparat dar, obgleich diese Edition inzwischen durch die von Schmale in der Freiherr-vom-Stein-Gedächtnis-Ausgabe überholt ist; lediglich der Apparat der MGH-Ausgabe ist immer noch heranzuziehen. Es ist vorgesehen, den hier gebotenen Text später nach Schmales Edition zu korrigieren. – Den Text der Chronica (Historia de duabus civitatibus) können wir bis auf weiteres nicht bieten.

Robert Ketelhohn