Briefwechsel

Zwischen Joseph Kardinal Ratzinger und
Erzbischof Damaskinos Papandreou
Über die Erklärung »Dominus Jesus«

Im Oktober 2000 traf Joseph Kardinal Ratzinger in der Toskana mit dem griechisch-orthodoxen Metropoliten der Schweiz zusammen, dem Erzbischof Damaskinos Papandreou. Dabei haben die langjährigen Freunde auch über das kurz zuvor im September erschienene Dokument Dominus Jesus und die damit in der Orthodoxie aufgebrochenen Fragen gesprochen. – Nachfolgend geben wir den aus dem Treffen erwachsenen Briefwechsel der beiden Bischöfe wieder.


Erzbischof Damaskinos Papandreou:
Brief an Joseph Kardinal Ratzinger

Erzbischof Damaskinos Papandreou

Ökumenisches Patriarchat
Metropolie der Schweiz

Chambesy, den 30. Oktober 2000

Seiner Eminenz
Joseph Kardinal Ratzinger
Präfekt der Glaubenskongregation
Palazzo del S. Uffizio
00120 Città del Vaticano

Eminenz! Lieber, verehrter Bruder und Freund!

Sehr gerne und dankbar denke ich an unsere unvergeßliche letzte Begegnung vom 14. bis 16. Oktober in der Toskana zurück.

Dieses Treffen war für uns eine Gelegenheit, über manches nachzudenken, was Du in Deiner Eigenschaft als Präfekt der Glaubenskongregation vor kurzem als das verbindliche Wort der römisch-katholischen Kirche an ihre Bischöfe gerichtet hast. Ich denke dabei an die Erklärung Dominus Jesus und vor allem an die Nota der Glaubenskongregation über die Schwesterkirchen.

Als ich im Jahr 1999 einen Vortrag an der römisch-katholischen Fakultät der Universität Bonn über den Beitrag der griechisch-orthodoxen Kirche und Theologie im heutigen Europa hielt, unterstrich ich unter anderem, daß die Vorsehung Gottes es so bestimmt hat, daß ich in den Jahren nach 1959, als ich als Stipendiat des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel meine Studien in Deutschland fortsetzte, dort den jungen Professor Joseph Ratzinger als Lehrer und Freund gewinnen konnte. Unsere Beziehung war eine wachsende, tiefe Gemeinschaft. Wir haben gegenseitig entdeckt, was es heißt, der römisch-katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche anzugehören, zwei Kirchen, die sich als Schwesterkirchen wieder entdeckt haben. So haben wir uns von innen her vorbereitet auf das große Ereignis des Jahres 1965: die Austilgung der Bannflüche aus dem Gedächtnis unserer Kirchen. In dieser Weise ist in uns die Leidenschaft für die Wiederherstellung der vollkommenen Einheit zwischen unseren Kirchen erwacht. Wir erlebten die Tatsache, daß wir denselben apostolischen Glauben teilen, und wir verfolgten die neue Epoche unserer Beziehungen vom Dialog der Liebe bis zum offiziellen theologischen Dialog. Wir haben ebenfalls empfunden, daß die gegenseitige Aufhebung der Bannsprüche in der Tat eine neue Situation geschaffen hat, die vom theologischen Standpunkt aus gewürdigt werden mußte.

Diese Situation hat eine psychologische wie auch ekklesiologische Tragweite, die weit über das Geschehen hinaus reicht, dessen Gedächtnis man getilgt hat. Mit der Zeit erwies es sich, daß sein Widerhall im Volke tiefer und breiter gewesen ist, als man voraussah. Im weiteren bewirkt und muß diese Aufhebung der Anatheme eine Reinigung des Gedächtnisses bewirken, welche Verzeihung ist. Sie hat das Symbol der Trennung durch das Symbol der Liebe ersetzt. Sie setzt eine neue kirchliche Situation voraus, welche immer mehr Rückwirkungen auf allen Ebenen jeder unserer Ortskirchen haben muß. Diese Rezeption gehört zu einem Prozeß der Annäherung und des Verständnisses, denn wenn es wahr ist, daß es ein unverbrüchliches Band zwischen der Theologie und der Liebe gibt, so wird uns die Tatsache, daß wir gemeinsam das christliche Mysterium leben, das uns vereint, notwendigerweise weiterführen. Das Reich Gottes erleidet Gewalt.

Ich erinnere mich im weiteren an Deine Überlegungen, die Du anläßlich unseres ersten ekklesiologischen Treffens in Wien im Jahre 1974 zum Ausdruck gebracht hast: »Fragen wir zum Schluß noch einmal: Was bleibt und was folgt aus dem Ganzen? Der Kernvorgang ist dieser: Das Verhältnis der „erkalteten Liebe“, der „Gegensätze, des Mißtrauens und der Antagonismen“ ist ersetzt durch die Beziehung der Liebe, der Brüderlichkeit, deren Symbol der Bruderkuß ist. Das Symbol der Spaltung ist durch das Symbol der Liebe ersetzt. Die Kommuniongemeinschaft ist freilich nicht hergestellt. Aber nachdem der Dialog der Liebe ein erstes Ziel erreicht hat, ist der theologische Dialog verlangt, und zwar nicht als ein beruhigtes akademisches Geplänkel, das an kein Ziel zu kommen braucht und sich im Grunde selbst genügt, sondern unter dem Zeichen der „ungeduldigen Erwartung“, die weiß, daß „die Stunde gekommen ist“; Agape und Bruderkuß sind an sich Terminus und Ritus der eucharistischen Einheit. Wo Agape als ekklesiale Realität ist, muß sie zu eucharistischer Agape werden. Darauf hat alles Bemuhen abzuzielen. Damit das Ziel erreicht werde, ist als unmittelbare Konsequenz des Ganzen zu verlangen, daß unablässig an der „Gesundung des Gedächtnisses“ gearbeitet werde. Dem Rechtsfaktum des Vergessens muß das reale geschichtliche Faktum eines neuen Gedächtnisses folgen. Das ist der unausweichliche, zugleich rechtliche und theologische Anspruch, der in dem Geschehen des 7. Dezember 1965 beschlossen liegt.« (Auf dem Weg zur Einheit des Glaubens 1976, 110).

Gemeinsam haben wir gelernt, wie man Theologie betreiben soll unter Berücksichtigung der Partikulartraditionen des Westens. Wir haben empfunden, daß die geoffenbarte Wahrheit im Osten und im Westen verschieden empfangen, gelebt und verstanden wurde und daß die Verschiedenheit der Theologien als vereinbar innerhalb eines selben Glaubens aufgefaßt werden kann, um so mehr, als ein wacher Sinn für die Transzendenz des Mysteriums und den vorwiegend apophatischen Charakter, den sein menschlicher Ausdruck anzunehmen hat, einem legitimen Pluralismus der Theologien im Schoße desselben traditionellen Glaubens freies Feld lassen kann und daß man nicht a priori dazu geneigt sein darf, den Glauben und seinen Ausdruck mit besonderen Theologien zu identifizieren.

Und wir sind zur gemeinsamen Feststellung gelangt, daß der Osten und der Westen sich nur dann begegnen und wiederfinden können, wenn sie sich ihrer ursprünglichen Verwandtschaft und der gemeinsamen Vergangenheit erinnern. Als erstes müssen sie sich bewußt werden, daß der Osten und der Westen trotz all ihrer Besonderheiten organisch zur einen Christenheit gehören. Hier sind wir zur gemeinsamen Feststellung gelangt, daß unsere Unterschiede im Sinne von verschiedenartigen legitimen Entfaltungen ein und desselben apostolischen Glaubens im Osten und im Westen aufzufassen sind und nicht als Trennungen in der Tradition des Glaubens selbst. Wir haben auch die Frage anders gestellt, nicht nur »Dürfen wir miteinander kommunizieren?«, sondern auch »Dürfen wir einander die Kommunion verweigern?«.

Ferner haben wir empfunden, daß das Haupthindernis für die Wiederherstellung der vollkommenen Gemeinschaft der Jurisdiktionsprimat des Papstes ist. Das Schwierigste scheint tatsächlich die Frage der Ordnung der Kirche zu sein: einerseits für Rom, weil es den Primat der »Sedes Romana« als konstitutiv für die Einheit der Kirche ansieht, andererseits für den Osten, weil er eben diesen Anspruch als eine Änderung der episkopalen Struktur der Kirche betrachtet.

Wir haben uns die Frage gestellt, wie wir hier vorwärts kommen, und wir haben uns erlaubt, einige Perspektiven zu formulieren, zum Beispiel: Wenn Rom die Kommunion mit dem Osten ohne Vorbedingungen aufnimmt - natürlich nach panorthodoxem Einvernehmen - so ist dies eine ausdrückliche Anerkennung der Legitimität der episkopalen Struktur des Ostens. Es schließt die Anerkenntnis ein, daß der Osten nicht auf die entfaltete Primatsstruktur des Westens verpflichtet werden muß.

Umgekehrt würde freilich der Osten damit anerkennen, daß der Westen trotz der Primatslehre prinzipiell die episkopale Strukur der Alten Kirche nicht verlassen hat, auch wenn sie einen zusätzlichen Faktor aufgenommen hat, dessen Notwendigkeit von der östlichen Kirche her nicht zu erkennen ist. Die Anerkenntnis des Fortbestehens der altkirchlichen apostolischen Struktur auch im Westen könnte erleichtert sein, zum einen durch die Bemühungen des Zweiten Vatikanischen Konzils um die deutliche Wiederherstellung der episkopalen Ordnung, zum anderen durch die Tatsache, daß der Papst, wenn er mit dem Osten kommuniziert, selbst den primatialen Anspruch von 1870 (jurisdictio in omnes ecclesias) faktisch dem Osten gegenüber nicht mehr erhebt.

So haben wir niemals die Hoffnung aufgegeben, daß auch die Polarisierungen im Blick auf den Jurisdiktionsprimat überwunden werden können, damit die so sehr ersehnte Wiederherstellung der vollkommenen Gemeinschaft bald Wirklichkeit werden kann. Und dazu hast Du als Präfekt der Glaubenskongregation, die die Mission hat, die »Hüterin der Orthodoxie« und die »Verteidigerin des Glaubens« zu sein, einen großen Beitrag zu leisten. Mögest Du von Deinen Überlegungen und Perspektiven geprägt sein, die Du im Jahr 1976 geschrieben hast, indem Du den Hinweis auf Ignatius von Antiochien bewertetest, den Patriarch Athenagoras I. bei der Begrüßung von Papst Paul VI. im Phanar zitierte: »„Wider alle Erwartung ist unter uns ‘der Bischof von Rom, der Erste an Ehre’ (ist) unter uns, der, ‘der den Vorsitz hat in der Liebe’ “ (Röm. Prol.; PG 5, 801). Es ist klar, daß der Patriarch damit nicht den ostkirchlichen Boden verläßt und sich nicht zu einem westlichen Jurisdiktionsprimat bekennt. Aber er stellt deutlich heraus, was der Osten über die Reihenfolge der an Rang und Recht gleichen Bischöfe der Kirche zu sagen hat, und es wäre sicherlich der Mühe wert zu überlegen, ob dieses alte Bekenntnis, das von „Jurisdiktionsprimat“ nichts weiß, aber eine Erststellung an „Ehre“ und „Liebe“ bekennt, nicht als eine dem Kern der Sache genügende Sicht der Stellung Roms in der Kirche gewertet werden könnte ... Der „heilige Mut“ verlangt mit Klugheit „Kühnheit“« (Joseph Ratzinger: Kirche, Ökumene und Politik, 1987, 204).

Alle diese Überlegungen und Perspektiven, die ich hier in Erinnerung bringe, haben mein Leben als Bischof und Theologe geprägt. In der Zwischenzeit aber stellte ich manches fest, das mich herausfordert, die Frage aufzuwerfen, ob es eine Kontinuität zwischen dem Professor Joseph Ratzinger und dem Präfekten der Glaubenskongregation gibt. Wie verhalten sich diese Aussagen, die ich eben erwähnte, mit folgenden Aussagen von Joseph Kardinal Ratzinger zueinander?

1. Im Schreiben der Kongregation für die Glaubenslehre, gerichtet »an die Bischöfe der katholischen Kirche über einige Aspekte der Kirche als „communio“« aus dem Jahr 1992, bezeichnete man die orthodoxen Kirchen als »Jene ehrwürdigen christlichen Gemeinschaften«, die »auf Grund ihrer derzeitigen Situation in ihrem Teilkirchesein verwundet« sind, da »die Gemeinschaft mit der durch den Nachfolger Petri repräsentierten Gesamtkirche nicht eine äußere Zutat zur Teilkirche ist, sondern eines ihrer inneren Wesenselemente« (§ 17). So setzt die Überwindung des Verwundetseins des Teilkircheseins die Anerkennung des Jurisdiktionsprimates des Papstes voraus, ohne die keine Wiederherstellung der vollkommenen Gemeinschaft denkbar zu sein scheint.

2. In der Nota der Glaubenskongregation über die Schwesterkirchen wird Folgendes erläutert: »Im eigentlichen Sinn sind Schwesterkirchen ausschließlich Teilkirchen (oder Teilkirchenverbände, wie etwa Patriarchate oder Kirchenprovinzen) untereinander. Es muß immer klar bleiben, auch wenn der Ausdruck Schwesterkirchen in diesem richtigen Sinn verwendet wird, daß die universale, eine, heilige, katholische und apostolische Kirche nicht Schwester, sondern Mutter aller Teilkirchen ist.« (§ 10).

3. In der Erklärung Dominus Jesus wird unter anderem gesagt: »Wie es nur einen einzigen Christus gibt, so gibt es nur einen einzigen Leib Christi, eine einzige Braut Christi: „die eine alleinige katholische und apostolische Kirche“ ... Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfaßt und geordnet, „ist verwirklicht (subsistit in) in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird“. Mit dem Ausdruck „subsistit in“ wollte das Zweite Vatikanische Konzil zwei Lehrsätze miteinander in Einklang bringen: auf der einen Seite, daß die Kirche Christi trotz der Spaltungen der Christen voll nur in der katholischen Kirche weiterbesteht, und auf der anderen Seite, „daß außerhalb ihres sichtbaren Gefüges vielfaltige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind“ ... Es gibt also eine einzige Kirche Christi, die in der katholischen Kirche subsistiert und vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird. Die Kirchen, die zwar nicht in vollkommener Gemeinschaft mit der katholischen Kirche stehen, aber durch engste Bande, wie die apostolische Sukzession und die gültige Eucharistie, mit ihr verbunden bleiben, sind echte Teilkirchen. Deshalb ist die Kirche Christi auch in diesen Kirchen gegenwärtig und wirksam, obwohl ihnen die volle Gemeinschaft mit der katholischen Kirche fehlt, insofern sie die katholische Lehre vom Primat nicht annehmen, den der Bischof von Rom nach Gottes Willen objektiv innehat und über die ganze Kirche ausübt.» (§§ 16 und 17).

a) Ich erlaube mir jetzt, Dich zu fragen, wie man diese «angeblichen Widersprüche» neu durchdenken könnte, damit eine Reihe von Mißverständnissen ausgeräumt werden kann, die auch auf Grund gewisser Formulierungen entstanden sind und die nicht völlig im Einklang mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu stehen scheinen. Ich denke etwa an diese Exklusivität, die mit dem »nur« untrennbar verbunden ist und die das Zweite Vatikanische Konzil mit dem »subsistit in« vermeiden wollte.

b) Diese »eine alleinige Kirche«, die sich auch »universale eine heilige, katholische und apostolische Kirche« nennt, wird als Mutter aller Teilkirchen bezeichnet und nicht als Schwesterkirche. Und diese »eine einzige Kirche« ist in der Pluralform »Kirchen« nur auf die Teilkirchen anwendbar. Ich frage mich jetzt, wieso in dem Kapitel IV der Erklärung Dominus Jesus der legitime Ausdruck des Glaubensbekenntnisses von Nizäa-Konstantinopel, das für uns alle verbindlich ist, durch eine andere Formulierung des großen Glaubensbekenntnisses der armenischen Kirche ersetzt werden mußte: »die eine alleinige katholische und apostolische Kirche«.

c) Ich möchte nicht in die Diskussion über die Teilkirchen-Theologie und -Ekklesiologie eintreten, denn meines Erachtens kann das, was Du Teilkirche nennst, d. h. die Lokalkirche, in der Sicht der orthodoxen Kirchen den Anspruch erheben, die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche zu sein – unter der Voraussetzung natürlich, daß sie in cornrnunio mit den anderen Lokalkirchen lebt. Und die Tatsache, daß diese Lokalkirchen als Schwesterkirchen untereinander bezeichnet und anerkannt werden, setzt nicht die condicio sine qua non voraus, daß die Kirche von Konstantinopel, das Ökumenische Patriarchat, die Mutter aller dieser Kirchen ist – was nicht bei allen orthodoxen Lokalkirchen der Fall ist –, sondern einfach die Tatsache, daß sie denselben Glauben teilen, in der Überzeugung, daß es nur einen einzigen Christus gibt und nur einen einzigen Leib Christi, die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche. Der Begriff »Teilkirche« als Wechselbegriff zu »Lokalkirche« kann überdies zu einer universalistisch strukturierten Ekklesiologie führen, die die Lokalkirchen als untergeordnete Teile der Una Sancta auffaßt.

d) Ich bestreite, daß der Begriff »Schwesterkirche«, so wie er im Breve Anno ineunte von Papst Paul VI. an den Patriarchen Athenagoras I. vorkommt, derart eingeschränkt werden darf, wie es in der Nota über die Schwesterkirchen der Fall ist. Genau gesagt: »Nun schenkt uns nach langen Meinungsverschiedenheiten und Zwistigkeiten Gott die Gnade, daß unsere Kirchen sich wiederum als Schwesterkirchen erkennen trotz der Schwierigkeiten, die in früherer Zeit zwischen uns entstanden sind.« (Ich habe das Wort »Möglichkeit« von der Nota mit dem Wort »Gnade« ersetzt, nach der offiziellen deutschen Übersetzung des Tomos Agapis: »... Dei beneficio fit ut nostrae ecclesiae se iterum sonores agnoscant ...« [Tomos Agapis 1978, 217].) Diese Formulierung darf nicht nur von der »Teilkirche« von Rom an die »Teilkirche« von Konstantinopel verwendet werden, sondern sie betrifft auch die gegenseitige Anerkennung der römisch-katholischen Kirche und der orthodoxen Kirche als Schwesterkirchen. Daher vertrat auch Pater Emmanuel Lanne im Wiener Symposium 1974 die Ansicht, »wenn die Gesamtheit der orthodoxen Kirchen bereit ist, die (römisch-)katholische Kirche, wie sie ist, als die wahre Kirche Christi und als Schwester der orthodoxen Kirche anzuerkennen ..., (dann) steht einer Wiederaufnahme der kanonischen Beziehungen zwischen den beiden Kirchen nichts mehr im Wege.« (Auf dem Weg zur Einheit des Glaubens 1976, 74).

e) Daß der Gebrauch des Begriffes »unsere beiden Kirchen« zu vermeiden sei, mit der Begründung, »daß es einen Plural nicht nur auf der Ebene der Teilkirchen, sondern auch auf der Ebene der im Credo bekannten einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche gibt, deren tatsächliche Existenz dadurch verdunkelt wird« (Nota § 11), scheint unter anderem auch der gemeinsamen Erklärung von Papst Paul VI. und Patriarch Athenagoras I. am Ende des Besuches des Patriarchen in Rom vom 28. Oktober 1967 zu widersprechen. Dort wird von beiden Oberhäuptern ihre Freude zum Ausdruck gebracht, »daß ihre Begegnung dazu beitragen konnte, daß ihre Kirchen sich noch mehr als Schwesterkirchen wiederkennen. In ihren Gebeten, öffentlichen Erklärungen und privaten Gesprächen haben der Papst und der Patriarch ihre Überzeugung betonen wollen, daß ein wesentlicher Beitrag zur Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft zwischen der römisch-katholischen Kirche einerseits und der orthodoxen Kirche andererseits in der Erneuerung der Kirche und der Christen zu sehen ist, in der Treue zu den Traditionen der Väter und zu den Eingebungen des Heiligen Geistes, der immer mit der Kirche ist ... Papst Paul VI. und der Ökumenische Patriarch Athenagoras I. sind überzeugt, daß der Dialog der Liebe zwischen ihren Kirchen Früchte der selbstlosen Zusammenarbeit bringen muß, auf der Ebene eines gemeinsamen Handelns im pastoralen, sozialen und intellektuellen Bereich, in gegenseitiger Respektierung der Treue zur eigenen Kirche auf der einen wie auf der anderen Seite.« (Tomos Agapis 131).

f) Der Gebrauch des Begriffes »unsere beiden Kirchen« relativiert keinesfalls die Vollkommenheitsansprüche der römisch-katholischen Kirche einerseits und der orthodoxen Kirche andererseits, daß sie die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche sind und fortsetzen. Ich erlaube mir, eine panorthodoxe Stellungnahme in dieser Hinsicht zu unterstreichen: »Im Bewußtsein der Wichtigkeit der gegenwärtigen Struktur des Christentums erkennt unsere heilige orthodoxe Kirche, obwohl sie die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche ist, nicht nur die ontologische Existenz dieser Kirchengemeinschaften an, sondern glaubt auch fest, daß alle diese Beziehungen zu ihnen auf einer möglichst raschen objektiven Erhellung des ekklesiologischen Problems und der Gesamtheit ihrer Lehre beruhen müssen.« Was heißt das? Kann eine Kirche, sobald sie ihre eigenen Grenzen mit denen der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche identifizieren läßt, eine andere Kirche als Kirche anerkennen, ohne ihren eigenen Anspruch auf Kontinuität aufzugeben oder wenigstens zu relativieren? Kann man hier ein »Sowohl – als auch« anwenden oder verpflichtet uns der kanonische Charakter der Kirche von dem »Entweder – oder« auszugehen? Beide Kirchen vertreten die Ansicht, die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche fortzusetzen, ohne dabei unbedingt ausschließend zu sein. Jedenfalls kann man meines Erachtens das Bestehen selbst einer »ecclesia extra ecclesiam« in der ganzen Fülle des Wortes »ecclesia« dort anerkennen, wo die Einheit im Eigentlichen der Pistis (d. h. der großen konziliaren Symbole) vorliegt und die Grundordnung der ecclesia, d. h. der successio apostolica, ungestört bewahrt wird.

Ich danke Gott jedesmal, wenn ich in meinen Gebeten an Dich denke, wenn ich höre und lese von Deinem Glauben an unseren Herrn Jesus Christus, an die Gottesmutter, die auch unsere Mutter ist, und an alle Heiligen. In der Gemeinschaft des Glaubens und der Liebe, die uns verbindet, verbleibe ich

in alter dankbarer brüderlicher Verbundenheit
Dein + Metropolit Damaskinos


Joseph Kardinal Ratzinger

Joseph Kardinal Ratzinger:
Antwort an Erzbischof Damaskinos Papandreou

Joseph Cardinal Ratzinger
00120 Città del Vaticano

20. Februar 2001

Seiner Eminenz
Metropolit Damaskinos von der Schweiz
Centre Orthodoxe du Patriarcat Oecuménique
37, Chemin de Chambesy
CH-1292 Chambesy

Eminenz!
Lieber Bruder und Freund!

Viel Zeit ist vergangen, seit wir unvergessene Tage zusammen in der Toscana verbringen und dabei mancherlei besprechen durften, was uns gemeinsam in der Sorge um die Einheit der Kirche bewegt, in deren Dienst wir uns wissen. Als Frucht der Gespräche hast Du mir dann am 30. Oktober einen bewegenden Brief geschrieben, in dem Du all die Fragen konkret entfaltest, die wir dort nur kurz hatten berühren können. Dafür danke ich Dir sehr herzlich, denn Offenheit ist eine Grundbedingung des ökumenischen Gesprächs, und unsere brüderliche Nähe ist so groß und so tief verankert, daß wir ohne Scheu alles einander sagen können, was uns bewegt und beunruhigt. Leider konnte ich nicht gleich antworten, zum einen, weil ich die gestellten Fragen gründlich bedenken wollte, zum anderen aber weil mich zunächst noch die Gewitter in Atem hielten, die nach Dominus Jesus auf uns niedergingen. Dann folgte die Lawine der Weihnachtspost, aus der ich mich nur schwer herausarbeiten konnte. Inzwischen kam die traurige Nachricht von Deiner ernsten Erkrankung, die mich tief beunruhigt hat. Du weißt, daß ich in dieser Zeit ganz besonders für Dich gebetet habe, und nun höre ich zu meiner Freude, daß Du wieder auf dem Weg der Genesung bist. Ich brauche Dir nicht eigens zu sagen, daß ich weiter Deinen Weg mit meinem Beten begleite, damit der Herr Dir die volle Gesundheit zurückgibt. So scheint mir, daß jetzt der Augenblick da ist, in dem ich endlich versuchen muß, die Antwort auf Deinen Brief auf den Weg zu bringen.

Es hat mich sehr berührt, wie Du unseren gemeinsamen theologischen Weg geschildert hast, auf dem uns die drängende Notwendigkeit, zur Einheit zwischen Ost und West zu kommen, immer dramatischer bewußt geworden ist und zugleich theologische Lichter erschienen, die uns die Richtung zeigten, der wir zu folgen haben, um zu dem großen Ziel mit Gottes Hilfe zu gelangen. Nichts von alledem ist zurückgenommen; daß orthodoxe Kirche und katholische Kirche zueinander gehören und daß keine der Lehrfragen, die uns zu trennen scheinen, unlösbar ist, ist mir im Gegenteil immer noch deutlicher bewußt geworden. Du stellst in diesem Zusammenhang die Frage, ob es eine Kontinuität zwischen dem Professor Joseph Ratzinger und dem Präfekten der Glaubenskongregation gibt; wie sich meine von Dir zitierten theologischen Aussagen zu verschiedenen Texten der Glaubenskongregation verhalten, die für Dich Fragen aufwerfen. Ich möchte dazu sagen: Der Professor und der Präfekt sind dieselbe Person, aber beide Begriffe benennen Funktionen, denen unterschiedliche Aufgaben entsprechen. Es gibt also in diesem Sinn einen Unterschied, aber keinen Widerspruch. Der Professor (der ich ja immer noch bin) müht sich um Erkenntnis und stellt in seinen Büchern und Vorträgen dar, was er glaubt gefunden zu haben und nun sowohl dem Disput der Theologen wie dem Urteil der Kirche unterstellt. Er versucht, in der Verantwortung vor der Wahrheit des Glaubens und im Bewußtsein seiner Grenzen zu Erkenntnissen zu erlangen, die auf dem Weg des Glaubens und auf dem Weg der Einheit weiterhelfen. Was er schreibt oder sagt, kommt aus seinem persönlichen Denk- und Glaubensweg heraus und ordnet ihn in den gemeinsamen Weg der Kirche ein. Der Präfekt hingegen hat nicht seine persönlichen Auffassungen darzulegen. Er muß sie im Gegenteil ganz zurücktreten lassen, um dem gemeinsamen Wort der Kirche Raum zu geben. Er schreibt nicht, wie es der Professor tut, Texte aus seinem eigenen Suchen und Finden heraus, sondern er muß dafür Sorge tragen, daß die Organe der lehrenden Kirche in großer Verantwortung ihre Arbeit tun, so daß am Ende ein Text von allem bloß Privaten gereinigt ist und wirklich gemeinsames Wort der Kirche wird. Den Anlaß, überhaupt ein Dokument zu verfassen, bieten Fragen, die aus der Kirche kommen, Wahrnehmungen, die von vielen Seiten her sich vertiefen und die Notwendigkeit eines klärenden Wortes erkennen lassen. Vielfaltige Kontakte mit den Brüdern im Bischofsamt gehören zum Weg der Reifung, dazu die klassischen Organe: Kommissionen, die Consulta (regelmäßige Versammlung der ständigen Berater der Kongregation), schließlich die Arbeit der »Kongregation« im eigentlichen Sinn, die ja ein Kollegialorgan aus einer Anzahl von Bischöfen darstellt, die zum Teil in Rom in den verschiedenen Kurienbehörden arbeiten, zum Teil Diözesanbischöfe in der weiten Welt sind. Die Kongregation kennt die etwa alle eineinhalb Jahre tagende Vollversammlung, der nur die großen Vorhaben unterbreitet werden können (wie Dominus Jesus) und die etwas alle 14 Tage zusammentretende Versammlung, an der die römischen Mitglieder und normalerweise einige Mitglieder aus den naheliegenden europäischen Staaten teilnehmen. Zugleich wird der Papst regelmäßig über den Fortgang der Dinge informiert. Während der Papst als oberster Hirte der Kirche zu den Gläubigen möglichst direkt zu sprechen versucht und daher so etwas wie eine »pastorale« Sprache wählt, ist der Auftrag der Kongregation enger: Sie soll an kritischen Punkten Markierungen setzen, zeigen, wo der Raum der theologischen Debatte beginnt, die sie nicht behindern darf und wo der Glaube selbst im Spiel steht, der die Grundlage aller Theologie bildet. So reift in langem Ringen (manche Dokumente brauchen zehn Jahre, kaum eines weniger als zwei Jahre) ein Text, in dem niemand seine Privatmeinung niederlegen kann, in dem vielmehr möglichst rein das gemeinsame Maß des Glaubens hervortreten soll. Dokumente der Kongregation sind nicht unfehlbar, aber sie sind doch mehr als theologische Diskussionsbeiträge - Wegweisungen, die zum gläubigen Gewissen der Hirten und Lehrer sprechen wollen. So ist klar, daß die Kongregationstexte keine Texte des Professors Ratzinger sein können und dürfen, der im Dienst eines ihn übergreifenden Ganzen steht und dabei mit dem Bewußtsein seiner Verantwortung die Rolle des Moderators wahrzunehmen versucht. Auch wenn die Texte von ihrem Charakter her anders sind, als ich persönlich sie schreiben könnte und dürfte, ist klar, daß ich nichts als Präfekt vertrete, was ich nicht auch persönlich als Weisung sowohl für mich selbst wie als Wort an die Kirche und für die Kirche vertreten kann.

Bevor ich nun zu den von Dir gestellten inhaltlichen Fragen komme, möchte ich noch zwei Punkte aus Deinen einleitenden Überlegungen unterstreichen, die mir wichtig scheinen. Das eine ist die Gesundung des Gedächtnisses. In der Begegnung mit den Bischöfen, die »ad limina apostolorum« kommen, erlebe ich immer wieder, wieviel da noch zu tun ist, wie tief die Verwundungen der Jahrhunderte ins Gedächtnis der Kirchen eingesunken sind und das Miteinander nicht selten vergiften. Ich war immer schon der Meinung und bin es nun noch mehr, daß zwischen Orthodoxie und katholischer Kirche viel weniger Lehrfragen stehen als Verwundungen des Gedächtnisses, die uns einander entfremden: Die Macht der geschichtlichen Verwirrnisse scheint stärker als das Licht des Glaubens, das sie in Vergebung umwandeln sollte. Gerade auf diesem Hintergrund möchte ich auch Deine Formel nochmal unterstreichen, daß wir eigentlich nicht fragen sollten »Dürfen wir miteinander kommunizieren?«, sondern »Dürfen wir einander die Kommunion verweigern?« Gottlob sind wir ja in diesem Punkt miteinander ein Stück weitergekommen. Die beiden Gesetzbücher der katholischen Kirche und ihr Ökumenisches Direktorium zeigen auf, daß unter bestimmten Bedingungen Kommunionzulassung zwischen Ost und West möglich oder sogar geboten ist. Vor dem Abschluß steht eine Vereinbarung zwischen der »assyrischen« und der »chaldäischen« Kirche über gegenseitige Kommunionzulassung in der weiten Diaspora, in der häufig nur eine der beiden Seiten über einen Priester verfügt. Der Fall war besonderer Studien bedürftig, weil die bei den Assyrern am meisten gebrauchte Anaphora von Addai und Mari keinen Einsetzungsbericht enthält. Aber diese Schwierigkeiten konnten überwunden werden, und so gibt es ganz allgemein trotz vieler Probleme immer wieder kleine Ermutigungen, die uns hoffen lassen.

Damit komme ich endlich zu Deinen Fragen und beginne mit dem »Haupthindernis« für die vollkommene Wiederherstellung der Einheit, dem Jurisdiktionsprimat des Papstes, wo Du die Problematik der Formel »iurisdictio in omnes ecclesias« besonders herausstellst. Ich würde bei dieser zweifellos sehr dornigen Problematik, die wir gewiß in unserem Briefwechsel nicht lösen können, zwei Aspekte unterscheiden. Zum einen gibt es, wie mir scheint, vor allem ein Sprachproblem. Der Begriff einer gesamtkirchlichen Jurisdiktion, überhaupt die Rechtssprache des zweiten Jahrtausends ist dem Osten fremd und wird mit Beunruhigung wahrgenommen. Ich glaube, es ist richtig und auch möglich, die wesentlichen und vor allem störenden Begriffe auf ihre Grundlagen in der Vätertheologie zurückzufuhren und sie von daher nicht nur besser verständlich zu machen, sondern natürlich auch Impulse für eine dem Denken der Väter gemäßere Verwendung zu finden. Du erinnerst an die unvergeßliche Ansprache von Patriarch Athenagoras I. beim Besuch von Paul VI. im Phanar, wo der Patriarch auf den Papst aus der Väterzeit die Titel »Erster an Ehre« und »Vorsitzender in der Liebe« anwandte. Ich glaube, daß man von da aus »gesamtkirchliehe Jurisdiktion« richtig definieren könnte: Die »Ehre« des Ersten ist ja nicht im Sinne weltlicher protokollarischer Ehren zu verstehen, sondern Ehre in der Kirche ist der Dienst, der Gehorsam gegenüber Christus. Und wiederum ist Agape nicht ein unverbindliches Gefühl, noch weniger eine soziale Organisation, sondern letzten Endes ein eucharistischer Begriff, der als solcher mit der Kreuzestheologie verbunden ist, denn vom Kreuz her kommt die Eucharistie, das Kreuz ist der äußerste Ausdruck der Liebe Gottes zu uns in Jesus Christus. Wenn die Kirche im Tiefsten mit der Eucharistie zusammenfallt, so liegt im Vorsitz der Agape eine Verantwortung für die Einheit, die innerkirchliche Bedeutung hat, aber zugleich Verantwortung für die »Unterscheidung des Christlichen« der weltlichen Gesellschaft gegenüber ist und daher immer martyrologischen Charakter tragen wird. Du weißt, daß ich vor einiger Zeit (beim Streit um die Frauenordination) den Dienst des Papstes als Dienst des Gehorsams zu deuten, ihn als Garanten des Gehorsams zu interpretieren versucht habe: Der Papst ist kein absoluter Monarch, dessen Wille Gesetz ist, sondern ganz im Gegenteil – er muß immer versuchen, der Eigenwilligkeit zu widerstehen und die Kirche ins Maß des Gehorsams rufen, darum aber selbst der Erstgehorchende sein. In einer Zeit, in der die säkularen Versuchungen der Theologie in allen Bereichen wachsen, scheint mir eine solche gemeinsame Verantwortung für den Gehorsam der Kirche der Überlieferung gegenüber von hoher Bedeutung zu sein; ihre Christusgemäßheit wird gerade dadurch bestätigt werden, daß sie als Zeugnis des Leidens für und mit Christus gegenüber den Versuchungen des Ungehorsams und der Eigenmächtigkeit in der Welt steht. Eine patristische Interpretation des Primats wird im übrigen vom Vaticanum I selbst gefordert, wenn es sagt, die beständige Praxis der Kirche stehe für die dort verkündete Lehre sowie die ökumenischen Konzilien, besonders jene, in denen der Osten mit dem Westen in der Einheit von Glaube und Liebe zusammen waren; das Vaticanum I zitiert dabei das vierte Konzil von Konstantinopel (DS 3065f). Der zweite Punkt, den ich hier nennen möchte, betrifft den Unterschied zwischen Theorie und Praxis oder vielleicht besser: die faktische Spannweite des Dogmas. Der Papst hat in seiner Enzyklika Ut unum sint darauf hingewiesen und bittet um Vorschläge für eine erneuerte Primatspraxis. Lehrreich ist hier wie immer die Geschichte. Rudolf Schieffer, Präsident der Monumenta Germaniae historica, schreibt in diesem Zusammenhang einmal, »daß an der Schwelle vom ersten zum zweiten kirchengeschichtlichen Jahrtausend ein qualitativer Sprung nicht in der primatialen Theorie, sondern eher im Umgang mit ihr gestanden hat.« (Natur und Ziel primatialer Interventionen des Bischofs von Rom im ersten Jahrtausend, in: Il Primato del Successore di Pietro. Città del Vaticano 1998, S. 348 s.).

Du erlaubst mir, noch eine mehr persönliche Reflexion anzufügen: Der Primat – Paul VI. selbst hat es gesagt – ist in gewisser Hinsicht »Haupthindernis« für die Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft. Aber er ist zugleich eine Hauptmöglichkeit dafür, weil ohne ihn auch die katholische Kirche längst in National- und Rituskirchen zerfallen wäre, die das ökumenische Gelände vollends unübersichtlich machen würden, und weil er verbindliche Schritte zur Einheit ermöglicht. Du hast selbst in einem wichtigen Beitrag kürzlich darauf hingewiesen, daß es für die Zukunft der Orthodoxie von entscheidender Bedeutung sein wird, angemessene Lösungen für das Problem der Autokephalie zu finden, damit innere Einheit und gemeinsame Handlungsfähigkeit der Orthodoxie nicht verloren gehen bzw. wieder hergestellt werden. Ich glaube, daß gerade die Problematik der Autokephalie auf die Notwendigkeit eines Organs der Einheit verweist, das freilich in der richtigen Balance mit der Eigenverantwortung der Ortskirchen stehen muß: Kirche kann und darf nicht Monarchie des Papstes sein, sondern hat ihre Fixpunkte in der Communio der Bischöfe, in der es einen Dienst ihrer Einheit untereinander gibt – einen Dienst also, der die Verantwortung der Bischöfe nicht aufhebt, sondern ihr zugeordnet ist. Ich glaube, je realistischer wir von den konkreten Gegebenheiten der Geschichte und der Gegenwart her und andererseits von der theologischen Tiefe und Weite der Lehrtexte aus miteinander reden, desto mehr werden wir uns Antworten annähern, die uns Einheit ermöglichen. Ich komme nun zur Frage 1 Deines Briefes, der Problematik des Wortes von der »Verwundung« der Teilkirchen aufgrund ihrer Trennung vom Nachfolger Petri, wovon Communionis notio spricht; derselbe Text sagt aber ausdrücklich, daß natürlich durch die Trennung auch die römisch-katholische Kirche verwundet ist, weil sie die Einheit in der Geschichte nicht voll darstellen kann. Wenn wir auf die Realität der Kirche und der Kirchen hinschauen – wer könnte bezweifeln, daß sie alle – auf je unterschiedliche Weise – verwundet sind? Mir kommt vor, daß die Theologie vor den Brüchen der Neuzeit viel realistischer war in der Beschreibung ihrer geschichtlichen Not. Ich erinnere nur als Beispiel an das Horologium Sapientiae des Heinrich von Seuse (erste Hälfte des 14. Jahrhunderts), der die Kirche in einer Vision als eine Stadt beschreibt, in der Teile durch Feinde zerstört, andere durch Nachlässigkeit der Bewohner zusammengebrochen sind. »In der Stadt traten Tiere auf – Meeresungeheuer mit menschlicher Gestalt, von denen der um Hilfe bittende Pilger mit Verachtung zurückgewiesen wurde« (A. M. Haas, in: Wer ist die Kirche? Symposion zum 10. Todestag von Hans Urs von Balthasar. Johannes Verlag 1999, S. 7). Ja, die Trennung ist eine Wunde, und wir sollten sie einander im Geist der Buße eingestehen und um Heilung bitten, um Heilung ringen.

Damit komme ich zum Disput um die Verwendung des Terminus Schwesterkirchen. Der entsprechende Brief der Glaubenskongregation stellt – wie Du weißt – ausdrücklich fest, daß Teilkirchen, auch über die Trennung hin, einander Schwesterkirchen sein können und sind, etwa Konstantinopel und Rom, Rom und Antiochien, Antiochien und Konstantinopel usw. Er hält es allerdings nicht für angemessen, die orthodoxe Kirche im ganzen und die römisch-katholische Kirche im ganzen als »unsere zwei Kirchen« und als zwei Schwesterkirchen zu bezeichnen. Warum? Es geht darum, den Plural »die Kirchen« und den Singular »die Kirche« in das richtige Verhältnis miteinander zu bringen. Wir bekennen uns im gemeinsamen Credo der Kirche dazu, daß es letztlich nur eine Kirche Christi gibt, die freilich konkret in vielen Teilkirchen existiert, welche aber eben doch Teilkirchen der einen Kirche sind. Denn Christus hat nur eine Braut, nur einen Leib - mit vielen Organen, aber eben in einem einzigen Leib. Wenn wir aber von orthodoxer Kirche und katholischer Kirche als zwei Schwesterkirchen sprechen würden, so stellen wir einen Plural auf, über dem kein Singular mehr erscheint. Auf der letzten Ebene des Kirchenbegriffs würde ein Dualismus bleiben und die eine Kirche so zu einem Phantom, zu einer Utopie werden, während ihr doch gerade das Leibsein wesentlich ist. Daß man im vierten Kapitel von Dominus Jesus das große Glaubensbekenntnis der armenischen Kirche zitiert hat, bedeutet selbstverständlich kein Abgehen vom nicaeno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis, das unser gemeinsames, verbindliches Credo ist und bleibt. Die Abweichung zwischen beiden im Artikel über die Kirche ist ja auch gering; im armenischen Glaubensbekenntnis fehlt das Wort heilig, dafür steht über das Nicaenum hinaus das Wort μονή [moné], das aber doch nur das μία [mía] unterstreicht und nichts hinzufügt. Mir war diese Zitation, offen gestanden, gar nicht aufgefallen, und der Text würde auch ohne sie in der Sache nichts verlieren. Man hat diese Überlieferungsvariante offenbar nur aufgenommen, um eben die Einzigkeit der Kirche zu unterstreichen, die in sich schon aus der Schrift und dem gemeinsamen Credo eindeutig folgt. Bedenkenswert finde ich in diesem Zusammenhang den Vorschlag von H. Legrand in dem Brief an Dich vom 6. Oktober, den Du mir freundlicherweise zugänglich gemacht hast. Legrand bezieht sich zunächst darauf, daß der griechische Delegierte in Baltimore es entschieden abgelehnt habe, die katholische Kirche als Schwesterkirche der orthodoxen Kirche anzusehen und fragt von da aus, ob es nicht der orthodoxen Kirche möglich sei, zwar nicht die katholische Kirche als solche als Schwesterkirche anzuerkennen, aber die katholischen (Teil-)Kirchen als Schwestern der orthodoxen Ortskirchen. Das ist ein Versuch einer terminologischen Lösung, der von beiden Seiten bedacht werden sollte und vielleicht den Ausweg zeigen könnte, wie ein Dualismus im Kirchenverständnis vermieden und doch die gemeinsame Geschwisterlichkeit aller orthodoxen und katholischen Kirchen untereinander sprachlich angemessen ausgedrückt werden könnte. Ich glaube nicht, daß das Breve Anno ineunte die Terminologie von unseren zwei Kirchen als Schwesterkirchen kanonisieren wollte. Es geht ja unmittelbar von der Begegnung zwischen Rom und Konstantinopel aus, um freilich von da aus auf den ganzen Bereich der katholischen und orthodoxen Ortskirchen auszugreifen, mit einer terminologischen Antizipation, die der Vertiefung in weiteren Gesprächen offen steht (zu Punkt a bis f Deines Briefes).

Bleiben wir noch bei den terminologischen Fragen. Wenn ich recht verstehe, hast Du auch Bedenken gegenüber dem Begriff Teilkirche. Das II. Vaticanum wechselt ohne klare Festlegung zwischen den Termini Orts- und Teilkirchen; Henri de Lubac hat gezeigt, daß der Begriff Teilkirche den Vorzug verdiene, und das ist dann von der Theologie wie vom Lehramt weithin aufgegriffen worden. Aber über diese Terminologie kann man auch weiterhin diskutieren.

Da ist dann als anderes Problem der Begriff der Mutterkirche. Ich denke, es sei wichtig, hier wieder die zwei Ebenen des Kirchenbegriffs zu unterscheiden. Da. ist zunächst die Ebene des rechtmäßigen Plurals - der Kirchen in der Kirche. Auf dieser Ebene ist die Kirche von Rom Mutterkirche von Kirchen in Italien, aber natürlich nicht die Mutterkirche aller anderen. Jerusalem ist Mutterkirche vieler Kirchen, Antiochien, Konstantinopel sind Mutterkirchen. Diese »Mutterschaft« kann aber nur die Abbildung für die eigentliche Mutter-Kirche sein – das obere Jerusalem, von dem Paulus spricht (Gal 4,26), von dem die Väter in bewegenden Worten reden. Ich darf an die wunderbare Textsammlung von Hugo Rahner erinnern: Mater Ecclesia (1944).

Wie ich aus einer Anzahl von Veröffentlichungen katholischer Theologen sehe, wird auch das Wort Universalkirche häufig falsch ausgelegt. Daß Communionis Notio von der ontologischen und temporalen Vorgängigkeit der Universalkirche vor den Teilkirchen spricht, wird als Votum für den römischen Zentralismus gedeutet. Das ist natürlich völliger Unsinn. Denn die Ortskirche von Rom ist eine Ortskirche, die nach unserer Überzeugung mit einer besonderen Verantwortung für die ganze Kirche betraut, aber nicht selbst die universale Kirche ist. Die Präzedenz der Universalkirche vor den Teilkirchen zu behaupten, ist kein Votum für eine bestimmte Form von Kompetenzverteilungen in der Kirche, kein Votum dafür, daß die Ortskirche von Rom möglichst viel an Vorrechten an sich ziehen müsse: Mit einer solchen Auslegung ist die Frageebene völlig verkannt. Wer immer nur gleich nach Machtverteilung fragt, geht am Mysterium der Kirche schlichtweg vorbei. Nein, es geht um etwas streng Theologisches und nicht um juristische oder kirchenpolitische Fragen: darum, daß der Gottesgedanke der einen Braut des Sohnes mit ihrer eschatologischen Bestimmung zum ewigen Hochzeitsmahl der erste und eigentliche Gottesgedanke ist, um den es in Sachen Kirche geht, während die reale Verwirklichung der Kirche in Ortskirchen eine zweite Ebene beschreibt, die danach kommt und die immer der ersten zugeordnet bleibt. Ich denke, daß es darüber eigentlich keinen Streit geben kann. Schließlich kommt zuletzt noch die dornige Frage des »subsistit in«, die irgendwie natürlich allen bisherigen Fragepunkten zugrunde liegt. Um verständlich zu machen, was gemeint ist, finde ich den Text einer panorthodoxen Stellungnahme sehr hilfreich, den Du unter Abschnitt (f) Deines Briefes zitiert hast. Ich möchte ihn, weil er mir so wichtig scheint, hier mit Deinem vorausgesetzten Einverständnis noch einmal wiedergeben: »Im Bewußtsein der Wichtigkeit der gegenwärtigen Struktur des Christentums erkennt unsere heilige orthodoxe Kirche, obwohl sie die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche ist, nicht nur die ontologische Existenz (dieser Kirchengemeinschaften) an, sondern glaubt auch fest, daß alle diese Beziehungen zu ihnen auf einer möglichst raschen objektiven Erhellung des ekklesiologischen Problems und der Gesamtheit ihrer Lehre beruhen müssen.« Ich wäre sehr dankbar, wenn ich einmal den gesamten Text dieser Stellungnahme kennenlernen dürfte, die mir für das Weitergehen unseres Dialogs von hoher Bedeutung zu sein scheint. Der Text drückt in etwas anderer, aber doch verwandter Terminologie genau die ekklesiologische Paradoxie aus, die auch Dominus Jesus zu formulieren versucht. Er sagt einerseits ganz klar, daß die orthodoxe Kirche »die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche ist«; er gibt so dem theologischen Singular von Kirche einen ganz konkreten, leibhaftigen Ort. Aber er fügt doch die Anerkennung der ontologischen Existenz dieser Kirchengemeinschaften hinzu und formuliert von daher die Aufgabe einer Erhellung des ekklesiologischen Problems und der Gesamtheit der Lehre. Dominus Jesus hat im Anschluß an Lumen gentium 8 das »Ist« durch das »Subsistit in« ersetzt, um sozusagen schon die ontologische Brücke zu der Existenz anderer Kirchengemeinschaften zu bauen und damit einen Schritt zur »Erhellung des ekklesiologischen Problems« zu tun, die von Eurem Text gefordert wird. Zweifellos ist durch diesen Schritt die Paradoxie nicht aufgelöst, sondern eher noch dramatischer geworden. Das Paradox von göttlicher Treue und menschlicher Untreue (»Wenn wir untreu sind, so bleibt er doch treu«: 2 Tim 2,13!) aufzulösen, ist uns nicht gegeben, vielmehr ist uns aufgegeben, darunter zu leiden und so in unserem Maß zu seiner Überwindung beizutragen: Es ist letzten Endes ein Problem der Existenz, nicht der Begriffe. Ich verstehe Dominus Jesus so, daß es die Gleichgültigkeit, mit der alle Kirchen als gleich gültig angesehen werden und so die Gültigkeit des Glaubens selbst in der Skepsis verschwindet, wieder in waches Leiden umwandeln und damit den wahren ökumenischen Eifer neu entfachen wollte. Wo alles gleich gültig ist, wird alles auch gleichgültig. Der Text hat Schmerzen hervorgerufen, und darauf reagiert der Mensch zunächst mit Protest, um so nachdrücklicher, je weniger er durch den Glauben gestört sein will. Wenn der erste störende Schmerz sich in Leidenwollen für die Einheit umwandelt, wird der Text anfangen, seinen wahren Dienst zu tun.

Lieber Bruder und Freund, wir beide leiden darunter, daß wir nicht miteinander Eucharistie feiern dürfen, und gerade das eint uns. Daß Du in diesem gemeinsamen Leiden und der darin verborgenen Freude der Hoffnung auf eine tiefere Einheit mir immer nahe geblieben bist, ist der große Freundschaftsdienst vieler Jahrzehnte, für den ich Dir heute einmal ganz ausdrücklich danken möchte. Ich hoffe, Du siehst aus diesen Zeilen - wie unzulänglich sie auch in vielem sind -, daß diese gleiche Leidenschaft, in der wir uns vor mehr als vierzig Jahren gefunden haben, in mir lebendig geblieben ist. Ich hoffe, daß dieses Wissen Dir in Deinem jetzigen Leiden hilft und daß Du bald wieder ganz zum Dienst in der einen Kirche Gottes zur Verfügung stehen kannst.

In diesem Sinn grüße ich Dich in großer Dankbarkeit und in tiefer Verbundenheit

Dein Bruder und Freund
+ Joseph Cardinal Ratzinger